Erstes Kapitel
Missgunst
In dem Moment bemerkte Lille schon, wie ihre Füße sie von ganz alleine Richtung Wald trugen, ganz so, als wüssten diese den Weg, noch bevor sie ihn kannte. Jeppe drehte sich um und hielt ihr die Hand hin. Er wirkte überhaupt nicht überrascht - nein, er schien sich sogar zu freuen.
Als ihre Beine kurz darauf die weißen Blumen erreicht hatten, die der Lichtung einen blühenden Rahmen verliehen, griff ihre Hand ganz ohne Zögern nach der von Jeppe. Er grinste kurz, es war ein „schön, dass du da bist“ Grinsen, und sofort fühlte Lille sich ein bisschen weniger komisch in ihrer Haut. - Was war passiert? Wo war sie auf einmal? Und vor allem, wie kam sie hier her?
Es blieb keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn schon liefen sie los, mitten in diesen unheimlich dunklen Wald. Lille wollte etwas sagen, aber sie kam nicht dazu. Sie ließen bereits die ersten Baumreihen hinter sich und Lille musste achtgeben nicht über die verschlungenen Baumwurzeln zu stolpern.
Sie bemerkte es erst nicht, aber im Wald war es kaum dunkler als auf der Lichtung, ganz anders als sie sich diesen Ort ausgemalt hatte.
Nein, jetzt sah sie es - er war wirklich anders, Sonnenstrahlen fielen durch das dichte Blätterdach und warfen helle Sprenkel auf den Waldboden, wie tausend kleine, leuchtende Tupfen. Der Boden war bedeckt mit allerhand Blätter und hier und da konnte sie kleine Bäume sprießen sehen, die diesen Wald noch dichter zu machen versuchten. Es krabbelte sogar auf dem Boden, ganz so wie in dem Wald in der Nähe von dem Haus der Oma.
Dann, auf einmal, war der Wald weg. Als wären sie durch eine unsichtbare Tür gelaufen, eine nicht zu erkennende Wand, die irgendetwas zu verstecken schien. Lille versuchte immer noch zu begreifen, was gerade geschah aber ihre Gedanken kamen nicht hinterher. Es ging alles so schnell und nun stand sie plötzlich mitten auf einem Berg.
Es gab weit und breit keinen Wald mehr, in der Ferne konnte sie Felder, Flüsse und Wälder erkennen und unten am Fuß des Berges, viel weiter unter ihnen, sah sie die Dächer von Häusern. Es waren eher kleine braune Flecken, um die es zu wuseln schien. Lille musste sich einmal um sich selbst drehen, um genauer zu sehen, wo sie hier gelandet war und um das eben Geschehene in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Dann erst spürte sie den warmen Wind im Gesicht. Sie sah den Horizont. Er hatte einen Hauch von Lila und dabei eine sonderbare Tiefe. Es war wirklich so schön hier. Gab es zu Hause auch so schöne Landschaften? Lille konnte sich nicht daran erinnern, oder hatte sie vielleicht einfach noch nie darauf geachtet? Lille stand neben Jeppe. Ihre Hand lag immer noch in seiner und es fühlte sich auch noch immer nicht merkwürdig an.